Liebe/r Holger Koch,
Die Welt ist ernst und bedenklich. Und doch gibt es Menschen, die ihr Heiteres abzugewinnen wissen. Holger Koch ist einer von ihnen. In Freiberg kam er 1955 zur Welt, wird also gerade 55. Nach dem Kunststudium in Dresden und Leipzig, lebt er freischaffend in seiner Geburtsstadt. Das klingt gerade und langweilig. Kochs Kunst indes ist genau das Gegenteil: skurril, berstend fantasievoll, fabulös in zweifacher Hinsicht, was sein Handwerk betrifft und in der Nähe zur Fabel. Als Lafontaine der Malerei legt er seine Aussagen Tieren oder Fantasiegestalten in die Körper. Und fördert tief Menschliches zutage.
Seine Werke mögen beeinflusst sein von Paul Klees wundersamem Wesen-Park, erinnern bisweilen an den Magdeburger Wilhelm Höpfner, der mit »Dichterfeder«, »Maulwerk«, »Laokoon« ähnlich satirisch spitze Blätter schuf. Die Ölkreide »Die Absinthtrinkerin« von 1999 zitiert im Titel Picasso, hat jedoch von der Ausführung her, ganz in die Fläche und dunkle Violett-Töne aufgelöst, kaum mehr etwas mit dem Spanier gemein. In »Malerei, Zeichnung und Druckgraphik«, so eine Ausstellung mit 53 Positionen in der Galerie der Berliner Graphikpresse, ist Holger Koch ein Unikat und einer, der seinen Intentionen auf allen drei Ausdrucks-Sektoren treu bleibt. Dass sich nichts dabei wiederholt, außer dass man die unangestrengt heitere, schier unerschöpfliche Fabulierkunst bewundert, macht den Rundgang zum einzigartigen Vergnügen.
Knapp die Hälfte der Exponate sind während der letzten sieben Jahre entstandene Bilder in Öl auf Leinwand. Kaum eines der dargestellten Wesen hat Menschengestalt, alle zielen sie im Zerrbild freilich auf den Zeitgenossen. So bewegen sich die »Strandläufer« dick auf dünnen kurzen Beinchen, sind wie die meisten Figuren klar konturiert, tragen Kerzen auf dem Kopf. Brennende Lichter, wie sie uns heimleuchten, Wärme spenden, erhellen sollen, machen Koch zu einer Art Kerzenmaler. Gern malt er Hausfassaden, dicht gedrängt, schmal und fröhlich schief, wie ein Flickenteppich bunt, nie ruinös, oft aber mit fast menschlicher Physiognomie. Belebt ist der Kochsche Kosmos, gesteht den Dingen tiefgründig eine Persönlichkeit zu. So birgt ein rotglühender Stuhl unter geschlossenen Augen eine Kerze, beäugt von Vögeln auf Rahmen und Lehnen. Vor allem jedoch tummeln sich auf Kochs Flächen die aberwitzigsten Traumgestalten, oft Eulen, rund oder eckig, mit Köpfen wie Käse- oder Tortenstücke und Leibern aus gestapelten Formen. Oder es triumphiert, wie in »Einklang«, die Ironie: Unterm voluminösen Busen einer Dicken mit düster funkelndem Rothaar verschwindet in der Umarmung fast der Mann.
Typisch für Koch sind schillernde Arbeiten nach Wortspielen. In »Stille Post« befördern auf einer Wäscheleine hockende Tiere einen Brief, »Dunkelmänner« zeigt harmlos pickende Raben auf einer Stadtstraße, in »Verführt« weiß ein Schaf nicht so recht, was ihm da gerade mit einer Gans widerfährt. In Kochs Graphik setzt sich der Fabulierspaß fort. Die Ölkreide »Briefwechsel« nimmt mit zwei Fantasiegestalten den Begriff wörtlich; auf der Radierung »Drunter und drüber« sitzen auf vier Leinen über Wäschestücken Vögel; Vogeljunge sehen erwartungsvoll auf eine Leiter, die gerade rote Füße herabsteigen. Wie Wum und Wendelin hocken als »Philosophisches Qartett« zwei Tiere in einer Wanne; im »Atelierbesuch« beim Maler mit Melonenscheibengesicht hat auch die Leinwand Füße; den »Poet« zieren ein Buch als Antlitz, eine blaue Feder als Nase.
Volkmar Draeger, 2010